Donnerstag, 29. Mai 2014

Samstag, 10. Mai 2014

AG Bielefeld, Urteil vom 08.05.2014 - 42 C 451/13

 Volker Küpperbusch:
Die Freibäder öffnen
und
Debcon geht in Bielefeld baden


Rechtsanwalt Volker Küpperbusch, Notar
Fachanwalt für gewerblichen Rechtschutz
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht



Rechtsanwälte und Notare
Dr. Stracke, Bubenzer & Kollegen

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Pünktlich zum Beginn der Freibadsaison hat das Amtsgericht Bielefeld mit hier am
08.05.2014 zugegangenen Urteil zum Az. 42 C 451/13 eine Klage der Debcon GmbH aus
Witten abgewiesen.

Zuvor war ein Mahnbescheid beantragt worden, gegen den nicht rechtzeitig Widerspruch
eingelegt wurde, so dass ein Vollstreckungsbescheid erging. Gegen diesen
Vollstreckungsbescheid hat die Beklagte Einspruch eingelegt, so dass das Amtsgericht
Bielefeld über die Sache zu entscheiden hatte.

Geltend gemacht wurde eine Forderung in angeblicher Höhe von 500,00 EUR als angebliche
Schadensersatzforderung mit Teilklage auf Erstattung der angeblich durch
Abmahnschreiben der ursprünglich tätigen Kanzlei Baek Law aus Hamburg entstandenen
Anwaltskosten. Die ausgesprochen rudimentär gehaltene Klagebegründung war dabei schon
kaum als solche zu bezeichnen.

Dem Fall lag die mittlerweile geradezu klassische Konstellation zugrunde, dass neben
der verklagten Anschlussinhaberin weitere Personen den Telefon- und Internetanschluss
mit genutzt haben. Im konkreten Fall waren dies die volljährigen Kinder der bereits im
Rentenalter befindlichen Anschlussinhaberin sowie deren ebenfalls bereits volljährige
Kinder, also die Enkel der Anschlussinhaberin.

Soweit sich die Klägerin auf die Vermutung der Täterschaft stützte, folgt das
Amtsgericht Bielefeld dem nicht. Vielmehr führte der zuständige Richter Folgendes aus:

(...) Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 12.05.2010, I ZR 121/08, "Sommer
unseres Lebens") soll eine tatsächliche Vermutung dafür bestehen, dass dann, wenn ein
geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird,
die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, diese Person für
die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre
Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die
Rechtsverletzung begangen (BGH NJW 2010, 2061). Die Annahme einer derartigen
tatsächlichen Vermutung begegnet in Haushalten, in denen mehrere Personen selbständig
und unabhängig Zugang zum Internet haben, bereits grundsätzlichen Bedenken. Die
Aufstellung einer tatsächlichen Vermutung setzt voraus, dass es einen empirisch
gesicherten Erfahrungssatz aufgrund allgemeiner Lebensumstände dahingehend gibt, dass
ein Anschlussinhaber seinen Internetzugang in erster Linie nutzt und über Art und
Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Ein
derartiger Erfahrungssatz existiert nicht. Die alltägliche Erfahrung in einer
Gesellschaft, in der das Internet einen immer größeren Anteil einnimmt und nicht mehr
wegzudenken ist, belegt vielmehr das Gegenteil. Wenn sich der Internetanschluss in
einem Mehrpersonenhaushalt befindet, entspricht es vielmehr üblicher Lebenserfahrung,
dass jeder Mitbewohner das Internet selbständig nutzen darf, ohne dass der
Anschlussinhaber Art und Umfang der Nutzung bewusst kontrolliert (AG Düsseldorf,
Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13). Der Anschlussinhaber genügt daher in diesen
Fällen seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und
darlegt, dass eine Hausgenossen selbständig auf den Internetanschluss zugreifen
können, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen
Geschehensablaufs als die seiner Alleintäterschaft ergibt (OLG Hamm, Beschluss v.
27.10.2011, I - 22W 82/11; OLG Hamm, Beschluss v. 04.11.2013, I - 22 W 60/13; OLG Köln
NJW-RR 2012, 1327; AG Hamburg, Urteil v. 30.10.2013, 31 C 20/13, AG München, Urteil v.
31.10.2013, 155 C 9298/13). (...)


Das Amtsgericht Bielefeld erteilt damit also der Vermutung einer Täterschaft des
Anschlussinhabers in Mehrpersonenhaushalten eine vollständige Absage. Dies wird aus
meiner Sicht zu Recht mit der Lebenserfahrung begründet, die gerade einen
Vermutungssatz ausschließt. Wenn nämlich mehrere Personen gleichwertig den Anschluss
nutzen, der lediglich auf eine Person angemeldet ist, so fällt es schwer einen
Erfahrungssatz zu begründen, dass gerade die Person, auf die der Anschluss angemeldet
ist, der Täter einer Rechtsverletzung sein soll, die über den von mehreren Personen
genutzten Anschluss geschieht.

Anders mag man dies noch in einem Einpersonenhaushalt sehen. Hierzu führt das
Amtsgericht Bielefeld wie folgt aus:

(...) Beim Einpersonenhaushalt hingegen wird man regelmäßig detaillierte Erläuterungen
erwarten können. Insoweit reicht es nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf
(Urteil vom 21.03.2012, 12 O 590/10) unter Berücksichtigung der dem Beklagten
obliegenden prozessualen Wahrheitspflicht aus, dass der Anschlussinhaber vorträgt,
weder die streitgegenständliche Datei noch eine entsprechende Filesharing-Software
befinde sich auf seinem Rechner, da für diesen Fall eine täterschaftliche Handlung bei
Wahrunterstellung ausgeschlossen ist. Sowohl bei Mehrpersonen- als auch bei einem
Einpersonenhaushalt ist mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers keine
Beweislastumkehr verbunden. Die sekundäre Darlegungslast umfasst nicht die Pflicht des
Beklagten diesen Sachverhalt ggf. auch zu beweisen. Ein der sekundären Darlegungslast
genügender Vortrag hat vielmehr zur Folge, dass der grundsätzlich beweisbelastete
seine Behauptung beweisen muss. Hierin ist keine unzumutbare Belastung des
Anspruchstellers zu sehen. Es gehört vielmehr zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen des
Zivilprozesses, dass der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für die
anspruchsbegründenden Voraussetzungen trägt. Abweichungen sind nur im Einzelfall
veranlasst und dürfen nicht dazu führen, dass der Beklagte sich regelmäßig zu
entlasten hat (AG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2013, 57 C 3144/13). Eine anders
lautende Rechtsprechung führt quasi zu einer Gefährdungshaftung, indem dem
Anschlussinhaber eine den Grundlagen des Zivilprozesses widersprechende praktisch
nicht erfüllbare sekundäre Darlegungslast auferlegt wird. (...)


Zur immer wieder von bestimmten Gerichten (Amtsgericht Leipzig, Amtsgericht München,
Landgericht Köln) aufgeworfenen Ross- und Reitertheorie, wonach ein Anschlussinhaber
seine Familie zu befragen habe und einen solchermaßen ermittel-ten Täter zu benennen
habe um seiner sekundären Darlegungslast nachzukommen, führt das Gericht unter
Anwendung verfassungsrechtlicher Prinzipien zusätzlich wie folgt aus:

(...) Weitergehende Angaben werden in einem Mehrpersonenhaushalt vom Anschlussinhaber
nicht im Rahmen der sekundären Darlegungslast verlangt werden können, da der
Anschlussinhaber ohnehin nur zu Tatsachen vortragen kann, die er üblicherweise kraft
Sachnähe vortragen kann. Eigene Ermittlungen dahingehend, wer möglicherweise als Täter
des behaupteten Urheberrechtsverstoßes in Betracht kommt, hat der Anschlussinhaber
aber nicht durchzuführen. Auch eine Überwachung der Familie bei der Internetnutzung
kann vom Anschlussinhaber nicht verlangt werden, da dies mit dem grundrechtlichen
Schutz der Familie nach Art. 6 GG nicht zu vereinbaren ist. (...)


Das Amtsgericht Bielefeld legt demgemäß dem Anschlussinhaber zu Recht nicht die
Verpflichtung auf, gleich einer "Familien-NSA" Überwachungen der Anschlüsse der
Familienmitglieder vorzunehmen oder gleich einer "Familien-Kripo" Nachforschungen
anzustellen, wer denn Verletzer von angeblichen Rechten Dritter sein könnte.

Angesichts dieser klaren Ausführungen ist davon auszugehen, dass über die
Freibadsaison des Jahres 2014 im Sommer noch weitere Anspruchsteller mit teilweise
kaum begründeten Klagen zumindest beim Amtsgericht Bielefeld baden gehen werden.