Freitag, 24. Juli 2009

AG München: Über die Verjährung von Ansprüchen im Abmahnwahn

In einer Serie von Verfahren hatte ab diesem Frühjahr das Amtsgericht München verschiedene Rechtsfragen aus dem Bereich der "urheberrechtlichen Abmahnungen - Rechtsverletzungen im Internet" zu klären. Hierbei konnten wesentliche verwertbare Ergebnisse erarbeitet werden, die nach und nach veröffentlicht werden können. Nach momentaner Lage sind alle Verfahren einvernehmlich abgeschlossen worden, so daß die Kernfrage ohne [richterlich empfohlene] landgerichtliche Beurteilung immer noch im Raum steht.

I Verjährung

Hier bestätigt das Amtsgericht im Wesentlichen die bereits bekannten allgemeinen Kentnisse.

§ 167 ZPO - Rückwirkung der Zustellung
"Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt."

Eine Verjährung der durch Abmahnkanzleien geltend gemachten Ansprüche tritt dann ein, wenn zum Datum der Fristverjährung weder eine Klage erhoben, noch ein Mahnbescheidsantrag gestellt wurde. Wird ein Antrag gestellt und wird ein Mahnbescheid zugestellt wird die Verjährung um 6 Monate gehemmt. In dieser Zeit sind auch Klagen möglich.

Eine Anspruch verjährt in diesem Bereich 3 Jahre nach Kentnisserlangung des verletzten Rechteinhabers -seiner Prozeßbevollmächtigten- der personenbezogenen Daten eines Anschlußinhabers. Hier ging es um Zeitpunkte aus dem Jahre 2005, so dass eine Verjährung zum 31.12.2008 eingetreten wäre. Tatsächlich erhielten aber die Beklagten erst im März des Jahres 2009 Klageschriften mit Bezug auf

§ 691, Abs. 2 ZPO - Zurückweisung des Mahnantrags
(2) Sollte durch die Zustellung des Mahnbescheids eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, so tritt die Wirkung mit der Einreichung oder Anbringung des Antrags auf Erlass des Mahnbescheids ein, wenn innerhalb eines Monats seit der Zustellung der Zurückweisung des Antrags Klage eingereicht und diese demnächst zugestellt wird.

Dies sah das Gericht, auch in Hinweisbeschlüssen als gegeben an. Der Begriff "demnächst" oder "alsbald zugestellt", bezeichnet den Zeitraum, in dem ein Antragsteller eigene Fehler [zB schlichte Adressenfehler] bereinigen kann. Gemeinhin wird ein Monat hier als ausreichend angesehen. Macht das Gericht jedoch den Fehler können wohl bis zu drei Monaten als ausreichend gelten, in denen der Antragsteller dafür zu sorgen hat, dass der Fehler bereinigt wird.

Im den Fällen hier hatte der Prozeßbevollmächtigte zwar Anträge bei einem Mahngericht fristgerecht vor dem Ablauf der Verjährung eingereicht. Diese konnten jedoch "maschinell" nicht bearbeitet werden. Mit einem "Zurückweisungsbeschluß" reagierte das zuständige Mahngericht erst im März 2009, worauf hin der Prozeßbevollmächtigte zügig Klage erhob.

Die Richterschaft war der wohl kompletten Überzeugung, dass hier dem Wortlaut des § 691 ZPO, Abs. 2 zu folgen sei: "Sollte ... eine Frist gewahrt werden...". Dies ist zweifellos durch den Antrag ausgedrückt worden und geschehen. [siehe III-Juristik] Die Verjährung ist somit nicht eingetreten, die Klagen "gerechtfertigt" und der Prozeßbevollmächtigte hat richtig im Sinne des "demnächst" gehandelt.

Fazit: Der endgültige und 100%-sichere Zeitpunkt, an dem eine Verjährung eintritt kann nicht auf den 31.12. eines Jahres gelegt werden. Es drohen dann immer noch unangenehme Überraschungen. Richtig sicher ist man erst zum 01.07. des 4ten Jahres + einige Tage mögliche verspätete Zustellung. Wer also 2008 eine Abmahnung erhalten hat, kann sich erst ab dem 15.07.2012 beginnen sich richtig zu freuen, wenn bis dahin nichts eingetroffen ist.


II - Abmahnwahnsystem Extrem

In diese prozessualen Schwierigkeiten kam der Prozeßbevollmächtigte aus einem bereits prognostizierten Problem heraus, das versucht wird allgemein verständlich darzulegen. Die Kanzlei hatte das "logistische" Problem zu lösen in einen Mahnantrag eine Anzahl von über sechs Parteien innerhalb des elektronischen Datenverkehrs mit Mahngerichten einzubauen. Hierzu benötigte man jedoch eine spezielle Software-Version, mit Bezeichnung 4.0. Verfügbar war durch den Hersteller jedoch nur eine limitierte Version 3.3, in der es nicht möglich war so viele Parteien aufzunehmen. Selbstredend wurden die Anträge vom zuständigen Mahngericht "kommentarlos" als nicht bearbeitbar zurück geschickt. Man verschickte ergo wissentlich Datenmüll.

Wie Abmahnkanzleien so sind, nämlich wenig logisch operierend und aufgrund des Massenaufkommens von Schriftsätzen stets logistisch total überfordert, unterließ es die Kanzlei Alternativen die es jeher gab einzusetzen, die beim Mahngericht eine Bearbeitung ermöglicht hätten. Statt dessen stürzte man sich in sinnlose "Verhandlungen auf SystemTechniker und Rechtsanwaltsebene". Die armen Rechtspfleger regierten offensichtlich "menschlich": Schickt uns halt den Datenmüll. Das gilt dann als Antrag und die Verjährung ist gehemmt. Später könnt ihr dann doch immer noch klagen." [fiktive Zitate, aber ja richtlich nicht gerügt, also rechtens vorgegangen.]. Der Datenmüll wurde versandt und am nächsten Tag wurde vom Mahngericht die Mitteilung verschickt... man [m]ahnt es schon: "Dieser Datenmüll kann nicht verarbeitet werden."

Zudem übersah man einen eindeutig problembezogenen Softwareupdate des Softwareherstellers. Der wird sich freuen, wenn er liest dass seine Updates bei SystemTechnikern landen, die ihn in die Ablage "nächstes Jahr" legen. Der Softwarehersteller hat sogar rechtzeitig im November des Jahres 2008 umfänglich veröffentlicht, zusätzliche "Module" in Form von Online-Zugriffen auf Hilfsdatenbanken angeboten, auf normale Möglichkeiten [wie wärs mit Telefonieren vor dem Schwächeln?] und sogar Lehrmaterial in Form von attraktiven Lehrviedeos angeboten. Statt sich aber erst-zu-bilden ging das alles an den Menschen in der Großkanzlei vorbei. Mehr noch, es zeigte sich in den Verhandlungen, dass die RAs der Kanzlei von den vorzüglichen Warnungen des Softwareherstellers gar nichts mitbekommen hatten, was zu einem eher lustigen "Bestreiten mit Nichtwissen", nach einem pauschalen Bestreiten des Vorgangs [richterlich verwunderter Blick hat er nicht mitbekommen, da leider den eigenen Tisch angestarrt] führte, was nur wieder beweist, das der linke Fußzeh von Groß-Kanzleien nicht weiß, warum Ihnen die Nase juckt.

Man hat anstatt die richtige Lösung vorzubereiten, den Versand von Datenmüll vorbereitet. Die Zeche durften hier aber die Beklagten zahlen, da Ihnen keine Mahnbescheide zugestellt werden konnten und damit rechtzeitige und anwaltliche Vergleichsverhandlungen außergerichtlicher Natur verwehrt wurden. Den gerichtlichen Nachlaß von nur 22,1% als Vergleichswert zum Gegenstandswert halte ich daher weiterhin für zu schlecht. Es muß hier aber angemerkt werden, dass die Fälle selber nicht erfolgreich betrieben werden konnten und da aus 2005 mit extrem seltsamen UEs operiert wurde, die eine Verteidigung in der eigentlichen Sache ausschlossen.

Fazit: Es lohnt sich jedoch immer einen Blick in die Logistik der Abmahnkanzleien zu werfen. Siehe zB Postausgangsbuch-Führung. Nicht immer kann hier ein Total-Erfolg erzielt werden. Aber es ist sehr wohl zu prüfen.

III - Juristik


Da es leider nicht zum Showdown der "letzten" Argumente kam, wird man sich sehr wohl versuchen einen Kommentar seitens des Gerichts zu holen, der natürlich dann nichts rechtsverbindliches an sich haben wird. Die Frage, die sich hier stellt ist einfach zu kapieren: Ist der Versand von Datenmüll als Antrag im Sinne des § 691, Abs. 2 ZPO zu sehen, wenn er nicht im Rahmen eines Monats verbessert wird?

Die Erweiterung des für die Rechtzeitigkeit maßgeblichen Zeitraums auf einen Monat ist auf die Fälle beschränkt, in denen sich die Zustellung des Mahnbescheids durch ein nachlässiges Verhalten des Antragstellers verzögert. Eine Übertragung dieser Wertung auf dem Antragsteller zurechenbare Verzögerungen nach Zustellung des Mahnbescheids und nach Aufforderung zur Zahlung der weiteren Gerichtskosten ist nicht gerechtfertigt. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Streitsache alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben worden ist, sind vielmehr die allgemein für § 167 ZPO geltenden Grundsätze anzuwenden. (Musielak/Voit, ZPO, 5. Aufl., § 696 Rn. 4).“ [BGH-Urteil, AZ III ZB 76/07 vom 28.02.2008]
Wie uA im BGH-Urteil, AZ: IV 32/05 vom 12.07.2006 erläutert setzt eine positive Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller nach den allgemein für § 167 ZPO geltenden Grundsätzen gehandelt habe vorraus, dass „der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter zu dem Zeitpunkt, in dem die Verzögerung eintritt, [noch nicht] alles getan haben, was das Verfahrensrecht von ihnen zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Zustellung fordert.“ Dies gelte auch für das gerichtliche Mahnverfahren.

Wann ist hier der Zeitpunkt der Verzögerung eingetreten?
- Gar nicht, weil der Versand von Datenmüll als Antrag gilt, der bis zu einem Beschluß nicht zu verbessern ist?
- Mit der Abgabe des Datenmülls und er Verpflichtung verbunden nach Eintreffen der sofortigen Mitteilung, der Antrag könne nicht bearbeitet werden, innerhalb eines Monats für einen verarbeitbaren Antrag zu sorgen.

Die Kanzlei macht hier zu Recht [?] geltend, das man ein Recht auf rechtliches Gehör habe und daher den offiziellen Zurückweisungsbeschluss abwarten könne. Das sehe ich weiterhin anders.

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